Warte nicht auf bessre Zeiten! by Wolf Biermann
Autor:Wolf Biermann [Biermann, Wolf]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783549074732
veröffentlicht: 2015-12-31T16:00:00+00:00
Wie nah sind uns manche Tote, doch wie tot sind uns manche, die leben
Weltjugendfestspiele. Oma Meume. Realsozialistische Liebe.
Der Kulturredakteur des WDR, mein Freund Peter Laudan, hatte mir den Text und das Tonband des Liedes »Hasta siempre, Comandante« von Carlos Puebla aus Kuba in die Chausseestraße geschmuggelt. Ich fingerte mir die lateinamerikanischen Harmonien in die Gitarre und reimte mir eine sehr freie Übersetzung zusammen, die viel mit der DDR zu tun hatte und wenig mit Kuba: »Comandante Che Guevara« – »Und bist kein Bonze geworden …« Dass der revolutionsromantische Schwärmer Che ganz nebenbei ein Schwadroneur und Mörder war, kam mir damals nicht in den Sinn.
Ende Juli 1973 sollten in Ost-Berlin die X. Weltjugendfestspiele stattfinden. Millionen Besucher aus der DDR wurden erwartet, aber auch 25 000 Besucher aus hundertvierzig anderen Nationen der Welt. Neun Veranstaltungstage waren angesetzt, alle, auch die gefährlichen Musikdrogen auf fünfundneunzig Bühnen plötzlich erlaubt: Beat- und Rockmusik! Und als ideologisches Gegengift die rotlackierten Propagandagesänge der DDR-Singebewegung. Über der Haupttribüne auf dem Marx-Engels-Platz hing ein riesiges Spruchband mit den Worten: »Die Jugend der DDR grüßt die Jugend der Welt«. Auch Westdeutschland stellte eine Delegation von achthundert Teilnehmern, Auserlesene aus den verschiedenen linksorientierten Jugend- und Studentenorganisationen bis hin zu den Jusos und dem DGB. Das Walter-Ulbricht-Stadion, Ort meiner revolutionstouristischen Reise 1950 als Junger Pionier aus Hamburg, war kurzerhand von Ulbrichts Nachfolger Honecker umbenannt worden in »Stadion der Weltjugend«.
Ich nahm mein DDR-deutsches Che-Guevara-Lied auf Tonband auf und schickte es dem Minister für Kultur, Hans-Joachim Hoffmann. Und ich schickte es zugleich an die Liedkommission des Organisationskomitees der Weltjugendfestspiele. In meinem Begleitbrief stand, dass ich mich mit diesem Lied an den Weltfestspielen beteiligen möchte. Ich schlug vor, es selbst zu singen, womöglich dazu aus meinem Repertoire einige andere geeignete Lieder. Aber ich bot auch an, dass statt meiner jemand anderes dieses Lied singen könnte. Natürlich wollte ich bei dieser günstigen Gelegenheit nach acht Jahren Totalverbot den Maulkorb abreißen.
Stefan Heym war nach dem Verbot 1965 längst wieder raus aus der verschärften Quarantäne. Er bot sich als Vermittler an und wollte sich bei einem Treffen mit Hoffmann für mich einsetzen. Das Gespräch verlief enttäuschend. Der Kulturverwalter erklärte Heym, dass »nicht die DDR mit Biermann Krieg habe«, sondern vielmehr »Biermann mit der DDR Streit sucht«. Biermann sei derjenige, der die Repräsentanten der DDR seit Jahren beleidige und in den Schmutz ziehe. Daher sei »nicht Biermann der Gefangene der DDR«, sondern er sei »sein eigener Gefangener in seinem eigenen Gefängnis«. Es liege also nur an Biermann selbst, wie er in der DDR lebe. Auch Heym kriegte bei der Gelegenheit noch eine Lektion verpasst. Es könne nicht die Aufgabe von Schriftstellern sein, beim Aufbau des Sozialismus von einer Abseitsposition her diejenigen nur zu kritisieren, die täglich am Sozialismus arbeiteten. Die Schriftsteller sollten sich gefälligst aktiv und schöpferisch einsetzen, um an der Gestaltung der sozialistischen Gesellschaft mitzuwirken.
Unmittelbar nach diesem Gespräch zitierte Erich Honecker höchstpersönlich Heym ins ZK. Dass er sich einen Tag vor Eröffnung der Weltfestspiele die Zeit nahm, so dringend und kurzfristig Heym um ein Gespräch über allgemeine Fragen der Kulturpolitik zu bitten, begriff dieser als panische Prophylaxe.
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